«Das Schlimmste wäre,
mich in der Musik zu langweilen»

Mayra Andrade zählt nach dem Tod von Césaria Évora zu den wichtigsten Botschafterinnen der Kapverdischen Inseln.

Mayra Andrade will sich in keine Schublade stecken lassen. Sie ist zwar eine kapverdische Musikerin, aber wer die kapverdische Musik alleine mit der Barfuss-Diva Césaria Évora und deren schwermütigen Morna in Verbindung bringt, wird der Vielfalt kapverdischer Musikstile und Interpreten kaum gerecht. Andrades Musik widerspiegelt die Diversität eines Landes, das im 15. Jahrhundert im Zuge des Sklavenhandels besiedelt wurde. Die Sprache und Kultur des Archipels vor der senegalesischen Küste ging aus vielfältigen Bezügen zwischen Westafrika, Europa und den Amerikas hervor.

 

«Wenn ich mich frage, was meine Musik ausmacht, so ist es wohl die Tatsache, dass ich immer meine Authentizität verteidigen wollte», sagt die 33-Jährige im Gespräch. «Wenn man authentisch ist, ist man nie 100% einem Stil zuzuordnen. Man ist 100% sich selbst.» Da finden sich die charakteristischen Klänge des Cavaquinho, einer kleinen Gitarre, und der sehn­suchts­volle, an den Fado der ehemaligen politischen Kolonialherren angelehnte Morna, aber auch beschwingtere Rhythmen wie der mit einem Schab­eisen und Akkordeon intonierte Funaná oder der afro-perkussive Batuku. Bei Andrade gesellen sich Anklänge aus der Música Popular Brasileira, dem Reggae, Son oder Jazz dazu.

 

An die Welt gewöhnt

Sich selbst zu sein, heisst eben auch, durchlässig zu sein für andere Einfüsse. Das gilt insbesondere für Mayra Andrade, deren Biografie eine durch und durch kosmo­polit­ische ist: Als Tochter kapverdischer Eltern in Havanna geboren, folgte sie dem Stiefvater später in den Senegal, nach Angola, Deutschland und zurück auf die Kapverden. Wenn auch in Diplomaten-Kreisen aufgewachsen, so ist Andrades Werdegang doch ein typisch kapverdischer, wo die Leben so vieler Landsleute geprägt sind von der Migration. Drei Viertel der Bevölkerung leben im Ausland.

 

«Wer von der Musik leben will, muss gehen», sagt auch Andrade. Auf den Kapverden sind die professionellen Strukturen in Bezug auf den Vertrieb und die Verwertung von Musik erst langsam im Aufbau. Andrade selbst lancierte ihre Karriere in Paris, wo sie hinzog, nachdem sie an den «Jeux de la Francophonie» in Kanada als 16-Jährige die Goldmedaille als beste Sängerin gewann.

 

Bald 20 Jahre später lanciert Andrade am 8. Februar – wenige Tage vor ihrem 34. Geburtstag – ihr fünftes Studioalbum «Manga». Dazwischen liegen unzählige Auftritte in der portugiesisch- und französischsprachigen Welt und Kooperationen unter anderem mit Charles Aznavour, Gilberto Gil, Césaria Évora, aber auch Nelson Freitas, ihrem Landsmann und Vertreter des angesagten Zouk bzw. Kizomba.

 

«Ich will mich immer wieder überraschen lassen»

«Manga» atmet das Lebensgefühl von Andrades neuem Wohnort Lissabon: «Die Stadt hat eine wunderbare Vitalität und Jugendlichkeit und Durchmischung», schwärmt die Vielreisende. «Ich wollte Musik machen, die leicht ist und meiner Generation entspricht, die nach dem klingt, was ich höre, wenn ich durch die Strassen gehe: Musik, zu der ich gerne tanze.»

 

In letzter Zeit höre sie enorm viel Afrobeat, erzählt Andrade, und so arbeitete sie für ihr neues Album nicht nur mit ihrem langjährigen Kollegen und Multiinstrumentalis­ten Kim Alves zusammen, sondern auch mit «Beatmakern» wie 2B und Akatché, die aktuell die urbanen Musikszenen in Abidjan (Elfenbeinküste) und Dakar (Senegal) aufmischen. Als Produzent fungierte daneben Romain Bilharz, der bereits mit Stromae, Ayo und Feist arbeitete.

 

Zwischen Paris, Lissabon und Westafrika entstanden, ist «Manga» (deutsch: Mango) im wahrsten Sinne des Wortes die Frucht von beharrlicher Arbeit und einer vielleicht neu gefundenen Leichtigkeit. «Ich muss das Leben auskosten, damit ich Lust habe, zu singen», sagt die charismatische Sängerin mit der sinnlichen Stimme dazu.

 

 

Publiziert am 20.2.2019 in der Aargauer Zeitung